Brief von Ammann und Landleuten von Appenzell an Luzern mit der Bitte um nochmaliges Eingehen auf ihr Anliegen

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Einleitung
Brief von Ammann und Landleuten von Appenzell an Luzern mit der Bitte um nochmaliges Eingehen auf ihr Anliegen
STALU, URK 77/1359

Das Burg- und Landrecht von 1411 (vgl. Übung 3) hatte die Möglichkeit vorgesehen, das Vertragsverhältnis einseitig aufzulösen. Für eine Änderung ihrer untergeordneten Stellung waren die Appenzeller also vollständig auf den guten Willen der Eidgenossen angewiesen. Während des Alten Zürichkriegs (1439-46) hatten sie sich auf der Seite der Innerschweizer gegen Zürich und Habsburg bewährt. Dies weckte bei ihnen die Hoffnung auf Besserung des noch einseitigen Vertragsverhältnisses. Mit einer regen Diplomatie versuchten sie, die vier Jahre dauernden Friedensverhandlungen im Alten Zürichkrieg zu nutzen, um die Eidgenossen dazu zu bringen, ihnen einen besseren Status zuzugestehen. Appenzell hatte aber keinen direkten Zugang zur Tagsatzung, sondern musste sich an Luzern wenden, das seinerseits die Anliegen der Appenzeller weiterleitete.


Hinweise zur Transkription
Transkribieren Sie u/v nach dem Lautwert (also z.B. «und» für «vnd»). Beachten Sie, dass Distinktionszeichen über dem u, welche der Unterscheidung vom Buchstaben n dienen, weggelassen werden. Zeichen über dem u, die nach heutigem Lautwert ein ü meinen, werden hingegen als solche ergänzt. Wortteile, die optisch getrennt erscheinen, aber sinngemäss zusammengehören, werden als ein Wort transkribiert (z.B. «dieselben» statt «die selben»). Passen Sie i und j dem heutigen Gebrauch an. Fügen Sie über der Zeile stehende Vokale hinter dem darunter stehenden Vokal ein. Transkribieren Sie auch gestrichene Wörter («des» im zweiten Teil der Übung).


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Übung
Brief von Ammann und Landleuten von Appenzell an Luzern mit der Bitte um nochmaliges Eingehen auf ihr Anliegen
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Resultat
Brief von Ammann und Landleuten von Appenzell an Luzern mit der Bitte um nochmaliges Eingehen auf ihr Anliegen
Die Transkription lautet:
Als wir naechst zuo pfingsten vergangen unser botten zuo Baden uffem tag, als umb ain antwurtt von
der ewigen buntnuss wegen gehebt haben, darumb wir och unser bottschafft von der gemelten buntnuss wegen vor
üwer wisshait gehebt haben, dieselben unser botten ir früntlich verhoertt haben, des wir üwer wisshaitt früntlich
dank sagen, fuogen wir üwer lieben, guoten früntschafft ze wissen, dz uns die unsern botten fürbracht hand, wie
inen zuo Baden von üwern und andern unser herren der aidgnossen erbern, wisen botten nitt geantwurtt syge, dann dz
sy maintin, sy soeltin daran ain benuegen haben, als dann der alt buntbriefe, so ir von uns hand, geaendertt waer, da
zuo hettin sy die sach nitt glich verstanden, darumb kundin sy uns nitt ain voellyg antwurtt geben, dann wir
moechtin unser mainung in üwer stett und lender in geschrifft senden, so woeltin ir uns ain voellyg antwurtt
geben.
Erörterung:
Brief von Ammann und Landleuten von Appenzell an Luzern mit der Bitte um nochmaliges Eingehen auf ihr Anliegen (1448)
Der Brief der Appenzeller zeigt alle Elemente spätmittelalterlicher Diplomatie: Appenzeller Gesandte wurden eingeladen und trugen ihre Anliegen mündlich vor den versammelten Eidgenossen vor. Die Antwort befriedigte sie aber nicht; Appenzeller Landammann und Räte setzten nun in höflichstem und sehr bestimmtem Tonfall ein Protestschreiben auf, in dem sie um eine vollständige Antwort von allen eidgenössischen Orten baten und zugleich ihren Forderungen Nachdruck verliehen.

Erklärungen
naechst zuo pfingsten: unmittelbar bevor Pfingsten
botten: Gesandte
tag: Tagsatzung
buntnuss: Bündnis
bottschafft: Gesandtschaft
üwer: eure
verhoertt: angehört
fuogen wir [...] ze wissen: Nachricht von etwas geben
fürbracht: vorgebracht, dargelegt
erbern: ehrbaren
ain benuegen han: sich damit begnügen
glich: auf die gleiche Weise
kundin: könnten
voellyg: vollständig
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Übung
Brief von Ammann und Landleuten von Appenzell an Luzern mit der Bitte um nochmaliges Eingehen auf ihr Anliegen
Zoom Level:
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Resultat
Brief von Ammann und Landleuten von Appenzell an Luzern mit der Bitte um nochmaliges Eingehen auf ihr Anliegen
Die Transkription lautet:
Item des ersten betten wir
üwer wisshaitt, dz ir uns lassint ain stimm der aidgnosschafft sin und dz ir uns glich hilff umb hilff geben, jeder
man in sinem costen, und ob ir wellen, so mugen ir uech selber vorbehalten, dz wir uns nitt zuo andern lüten in
buntnuss verbinden, och dz wir dehainen krieg nit anvahen. Ob sich aber fuogty, dz wir zuo krieg kaemin, wann uns
dann der mertail aidgnossen usserm krieg manottin, da soeltin wir inen volgen und von dem krieg laussen. Och
mugen ir üch selber üwer alten bund vor laussen und halten und dz in ain vormm des ains briefs gestelt werd.
Besunder guoten fründ, ir wellen üch har inne guettlich und früntlich bewisen, als wir ain besunder guot getrüwen
zuo üch haben, dz begeren wir in allen mindren und meren sachen umb üch und all die üwern in allem guotem zuo
verdienen, wa sich dz ze tuond geburtt.
Erörterung:
Die Forderung der Appenzeller umfasste zwei Punkte: Sie wollten in eidgenössischen Angelegenheiten abstimmen können, und sie verlangten, dass die Eidgenossen auf ihre Aufforderung hin militärische Hilfe leisteten - und zwar auf eigene Kosten. Die Appenzeller boten dafür an, nicht darauf zu bestehen, selbständig Bündnisse abschliessen zu können und ohne Erlaubnis Kriegshändel zu beginnen. Wenn sie mit Krieg bedroht wurden, die Mehrheit der Eidgenossen sie jedoch dazu aufforderte, darauf nicht einzutreten, so würden sie dieser Bitte Folge leisten. Schliesslich wiesen sie darauf hin, dass sie keinen Anteil an weiteren Bündnissen der Eidgenossen haben wollten. Damit machten sie klar, dass sie nicht die Absicht hatten, am Einkommen aus den von den Eidgenossen 1415 eroberten Herrschaften im Aargau teilzuhaben. Sie baten schliesslich um einen Vertrag, in dem das alles festgehalten wurde - «in ain vormm des ains briefs». Vier Jahre nach dem Schreiben an die Luzerner Kanzlei sahen die Appenzeller ihre diplomatischen Bemühungen von Erfolg gekrönt. Die Hartnäckigkeit zahlte sich aus. 1452 wurde das Burg- und Landrecht aufgelöst, und die Appenzeller wurden zu «ewigen Eidgenossen» von Zürich, Luzern, Uri, Schwyz, Unterwalden, Zug und Glarus (siehe dazu Übung 5).

Erklärungen
üwer: Eure
ain stimm: eine Stimme (bei Abstimmungen)
vorbehalten: ausnehmen
dehainen: keinen
manotin: mahnten
laussen: ablassen
vor laussen: vorbehalten, ausnehmen
in ain vormm: in die formale Gestalt
ains briefs: einer Urkunde
getruwen: Vertrauen
in allen mindren und meren sachen: in allen kleineren und grösseren Angelegenheiten
üch: euch
die üwern: die Euren
verdienen: zukommen lassen
geburtt: gebührt
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