Mehr über die Vadianische Sammlung erfahren…

Ansicht Vadian

Von Vadians Studienbibliothek…

Am Anfang steht Joachim von Watt (1483/4-1551), Vadian genannt, der vielseitige Humanist, Arzt, Reformator und langjähriger Bürgermeister der Stadt St. Gallen. Bereits von Krankheit gezeichnet, ruft er im Januar 1551 die Spitzen der Regierung und der Pfarrschaft zusammen, um sein politisches und persönliches Vermächtnis abzulegen. Dabei übergibt er «ain thuren und werden Schatz von Buchern (…) dann die Herren die Predicanten und Schuolherren daruber gon, die leβen und darinn studieren mögenn», wie er wenige Tage später in seinem Testament festlegt. Vadians Testament wird heute im Stadtarchiv der Ortsbürgergemeinde aufbewahrt (Altes Archiv, Tr. 22, 11) Auch zur Pflege der Bücher, die zweimal jährlich kontrolliert, abgestaubt und gelüftet werden müssen, äussert er sich dezidiert. Gleichzeitig mahnt er die Stadtoberen, dass sollten sie seinen Willen missachten und gegen die Auflagen verstossen, die gesamte Bibliothek in den Besitz seines Schwiegersohns oder dessen Nachkommen übergehen würde. Zwei Monate später stirbt Vadian. Seine Bücher gehören nun wie geplant der Stadt. Stolz spricht man von der «Libry der Statt Sannt Gallen». Aber statt eine aktiv genutzten reformatorische Studienbibliothek zu werden, verkümmerte der Bestand zusehends zu einem brachliegenden Denkmal seines Stifters.

… zur Bürgerbibliothek

Denn erst eine Folgegeneration von Gelehrten und bibliophilen Kaufleuten zu Beginn des 17. Jahrhunderts erblicken im kulturellen Gedächtnis ihrer Heimatstadt einen Schatz, den es zu bewahren und zu äufnen gilt. Geld und Geist vereinigen sich zu einem idealen Paar. Die Begeisterung für mittelalterliche Handschriften, insbesondere für die mittelhochdeutsche und lateinische Überlieferung der Heimatstadt, tun ihr Weiteres. Bedeutende Sammler und Gelehrte wie Bartholomäus Schobinger (1566-1604), Jakob Studer (1574-1622) und Sebastian Schobinger (1579-1652) bauen den Bestand kontinuierlich aus. Besonders Studer versteht es mit sehr viel Geschick und Organisationstalent, die «Libry»in eine breit abgestützte Bürgerbibliothek umzugestalten.

Neben der Versorgung der Bevölkerung mit aktueller Literatur zu allen Wissensgebieten, werden nun auch mittelalterliche Handschriften, die Briefsammlungen Vadians und des Konstanzer Brüderpaars Blarer sowie kostbare Inkunablen gesammelt. In den folgenden Jahrhunderten wird es allgemein üblich, dass erfolgreiche St. Galler Familien der Bibliothek bedeutende Werke schenken. Ihre Grosszügigkeit und Spendierfreude wird, für alle einsehbar, in einem grossformatigen Donatorenbuch verewigt. Sind es mehrere Werke, wird der Eintrag mit einem ganzseitigen Familienwappen ergänzt.

 

Die Vadianische Sammlung heute

Heute beinhaltet die Vadianische Sammlung rund 100 mittelalterliche Handschriften aus allen Teilen Europas, 230 Inkunabeln, über 500 neuzeitliche Handschriften, eine grosse Autographensammlung, Nachlässe von St. Galler Persönlichkeiten sowie Bilddokumente aller Art aus Alt St. Gallen. Überregionale Bedeutung haben die illuminierten Handschriften aus dem Spätmittelalter, darunter die prachtvolle Weltchronik des Rudolf von Ems, humanistische und alchemische Manuskripte, die bereits erwähnten Briefsammlungen des 16. Jahrhunderts sowie Wiegendrucke aus Italien. Die Sammlung gehört aber der Ortsbürgergemeinde St. Gallen und wird als Dauerdepositum in der Kantonsbibliothek aufbewahrt.

Mit dem Schwerpunkt Mittelalter und Frühe Neuzeit ergänzt die Vadianische Sammlung die Bestände des Stadtarchivs in idealer Weise. Anders als Archivalien, die Zeugnisse der Verwaltungstätigkeit der Stadtbehörden sind und nur im Kontext verstanden werden können, haben Handschriften und Inkunabeln einen anderen Charakter. Jeder Text ist einzigartig in der Ausführung, meistens aber in ähnlichen Versionen in mehreren Bibliotheken vorhanden. Neben der korrekten Überlieferung, die durch das Vergleichen der Texte erarbeitet werden, ist hier vor allem der Gebrauch im Verlauf der Zeit von Interesse. Handschriften erfordern deshalb zuweilen ein detektivisches Talent und den ganzen Einfallsreichtum bei der Katalogisierung. Warum das so ist, hängt mit ihrem einzigartigen Charakter zusammen.

Ansicht mittelalterliche Handschrift

Mittelalterliche Handschriften

Was ist eine Handschrift?

Unter Handschrift versteht man alle von Hand geschriebenen Publikationen, welche mit Tinte oder ähnlichen Farben auf Papyrus, Pergament oder Papier aufgebracht wurden. Typisch für das Mittelalter ist dabei, dass es sich häufig um Sammlungen verschiedener Manuskripte und nicht um Einzeltitel handelt, welche in Buchform als sogenannter Kodex zusammengebunden wurden. Diese Textensembles bestehen aus Teilmanuskripten unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Herkunft, welche entweder aus Benutzungsinteressen bewusst oder aber zu einem späteren Zeitpunkt aus Praktikabilitätsgründen zusammengebunden wurden (Faszikel). Bereits in den frühesten Bibliotheken wurden Handschriften in Katalogen verzeichnet, systematisch geordnet, annotiert und für zusätzliche Abschriften bereitgestellt. Sie wurden aber auch schon immer vernichtet, sei es um den Beschreibstoff zu rezyklieren (Palimpsest) oder als Bindematerial für einen neuen Kodex zu verwenden (Makulatur). Hinzu kommen noch die Einzelblatt- und die Katastrophenfragmente.

Da meist weder Titelblatt, noch ein Inhaltsverzeichnis über die Zusammensetzung des Kodex Auskunft geben, fehlen in mittelalterlichen Handschriften meist Angaben zu den einzelnen Texten, zum Entstehungskontext und zur Rezeptionssituation. Dies sind jedoch zentrale Anhaltspunkte, um den Zugang zu den Handschriften zu ermöglichen und damit eine der Kernaufgaben von Bibliotheken. Der Übergang von einfacher Katalogaufnahme zur Forschung ist dabei fliessend und nur durch das finanzielle und zeitliche Korsett beschränkt.

 

Kodikologische Forschung

Die Fragestellungen an die Texte haben sich gewandelt, die Technik ist dabei im weitesten Sinne dieselbe geblieben. Neben der inhaltlichen Identifizierung der Texte wird auch die äussere Beschaffenheit des Kodex untersucht. Die Handschriftenkunde oder Kodikologie wiederum widmet sich der materiellen Beschaffenheit, insbesondere den handwerklich-technischen Aspekten seiner Entstehung. Durch die Untersuchung des Beschreibstoffs – bei Papierhandschriften auch der Wasserzeichen – der Lageneinteilung, der Schriftart und der Schreiberhände, des Layouts sowie des Buchschmucks, kann eine undatierte Handschrift zeitlich und örtlich verortet werden. Anhand der Gebrauchsspuren, dem Entstehungs- und Überlieferungskontext und dem Einband lassen sich Rückschlüsse zur Verwendung des Kodex ziehen. Am Ende der kodikologischen Untersuchung steht schliesslich die Auflistung der Besitzverhältnisse und der Provenienz. Diese gibt nicht nur Auskunft über die Geschichte des einzelnen Kodex, sondern auch aus welcher Sammlung oder Bibliothek er stammt.

 

Gebrauch der Handschrift

Die inhaltliche Erschliessung will nicht nur die Texte identifizieren, sondern auch Aussagen über die Textüberlieferung und die Rezeption machen. Für die Werknormdatei, welche den Titel und den Autor in normierter Form ansetzt, wird als charakteristisches Element der Textanfang und allenfalls das Textende zitiert (Incipit, Explicit). Der unikale Charakter jeder Handschrift äussert sich auch daran, dass unterschiedliche Modifikationen am Text auftreten, aber auch Unterschiede in der Vollständigkeit und dem Redaktionsstand üblich sind. Sie spiegeln sozusagen „die Fülle des Lebens“. Die Verwendung und Rezeption manifestiert sich in Glossen, Randnotizen, Textergänzungen und -hervorhebungen.

 

Handschriften katalogisieren

All dies gehört bei einer Tiefenerschliessung ins Katalogisat einer Handschrift, damit diese auffindbar und dadurch zugänglich ist. Bibliographische Angaben über die wissenschaftliche Literatur, Vorschaubilder, Teil- oder Volltextdigitalisate und allenfalls Transkriptionen können heutzutage ebenfalls an ein Katalogisat angehängt werden. Dank der Digitalisierung und den Möglichkeiten des Internets ist der permanente und ortsungebundene Zugang zu unikalen Handschriften so einfach wie nie zuvor. Die Handschriften der Vadianischen Sammlung werden laufend erschlossen und sind via swisscollections verfügbar. Anhand von Glanzstücken aus der Vadianischen Sammlung, welche über die virtuelle Handschriftenbibliothek eingesehen werden können, soll der Umgang mit Handschriften und die Vernetzung im virtuellen Raum demonstriert werden.

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