Menüplan der Siechenpfründner im Spital (1460-1566)

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Einleitung
Menüplan der Siechenpfründner im Spital (1460-1566)
Stadtarchiv der Ortsbürgergemeinde St.Gallen, SpA, N, 1 (Pfrundbuch 1460-1566), S. 244.

Die im Heiliggeist-Spital St.Gallen lebenden Pfründner gehörten je nach Höhe des geleisteten Pfrundbetrages unterschiedlichen Pfrundkategorien an. Die drei Kategorien Siechenpfrund, Mittelpfrund und Herrenpfrund unterschieden sich nicht nur in Bezug auf die Unterbringung, sondern auch in Bezug auf die Verpflegung der Pfründner. Mittellose erhielten eine so genannte Siechen- oder Muespfrund «umb gotzwillen», also unentgeltlich. Ihre Verpflegung bestand zur Hauptsache aus Getreide- oder Erbsenbrei, war vitaminarm und führte noch im 18. Jahrhundert zu mangelbedingten Krankheiten. In der so genannten Mittelpfrund war die Verpflegung bereits etwas besser, dafür musste jedoch ein Entgelt entrichtet werden. Die Herrenpfrund schliesslich übertraf die beiden anderen in jeder Hinsicht. Das Essen war vielfältiger und vor allem angereichert mit Fleisch und Fisch, inbegriffen war täglich ein gewisses Quantum Wein.
Es ist ein Glücksfall, dass im Pfrundbuch ein Menüplan für Siechenpfründner aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts überliefert ist.


Hinweise zur Transkription
Transkribieren Sie u/v nach Lautwert und fügen Sie über der Zeile stehende Vokale hinter dem darunter stehenden Vokal ein. Passen Sie i und j dem heutigem Gebrauch an (z.B. «im» statt «jm»). Lösen Sie Kürzungen (z.B. die zahlreichen en-Kürzungen) auf. Schreiben Sie Wortteile, die zusammengehören, obschon sie optisch getrennt erscheinen, zusammen (z.B. «voressen» statt «vor essen»). Nutzen Sie bei Unsicherheiten die Tipps.


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Übung
Menüplan der Siechenpfründner im Spital (1460-1566)
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Resultat
Menüplan der Siechenpfründner im Spital (1460-1566)
Die Transkription lautet:
Item wer die siechenpfrund hatt, dem gitt man
zuo essen am sontag suppen und flaisch, yst
es die suppen an morgen, so gitt man im
das flaisch und an voressen zum ymis, zuo
nacht 1 muoß. An mentag gersten und flaisch,
wurscht und schubling, zu nacht 1 muoß. Am
zinstag morgen 1 muoß, zuo ymis suppen und
flaisch, aber ain voressen fur die suppen,
zuo nacht 1 muoß. An der mittwuchen morgen
1 muoß, zum ymiß gersten und erbs, zuo
nacht 1 muoß. Am donstag wie am zinstag.
An frittag morgen 1 muß, zum ymiß erbs
und zuo zitten visch, zuo nacht 1 muß. Am
samistag wie am frittag. Und hett ains
alltag 1/2 maß win und 1 haller wert milch.
Erörterung:
Nach dieser Beschreibung umfasste die Ernährung der Siechen-pfründner zwölfmal «mus». Unter «mus» muss man sich einen Brei vorstellen, welcher ganz verschieden zusammengesetzt sein konnte. Mus ohne nähere Bestimmung dürfte der im Mittelalter weit verbreitete Getreidebrei gewesen sein, der aus zerriebenen Getreidekörnern, mit Wasser oder Milch unter Beigabe von Salz oder anderen Zutaten zubereitet wurde. Unter «gersten» und «erbs» muss man sich wohl eine Art Brei oder eine etwas verdickte Suppe mit Gerste und Erbsengemüse oder Bohnen vorstellen. Unter «voressen» ist wohl am ehesten ein Gericht aus zerschnit-tenen Eingeweiden (insbesondere Leber, Lunge und Kutteln) zu verstehen. Mit «flaisch» ist meist in Brühen oder Suppen gesotte-nes Fleisch gemeint. Bei der «suppen» handelte es sich wohl um eine einfache, wenig nahrhafte Fleischbrühe oder eine verdickte Suppe mit Gersten, Erbsen, Bohnen oder anderem Gemüse.
Gemäss Speiseplan erhielten die Pfründner zudem Milch im Wert von einem Haller und ein halbes Mass (= 6,5 dl) Wein. Milch wurde dadurch wohl zur regelmässigen Lieferantin von hochwertigem Protein.
Insgesamt war die Ernährung der Siechen- oder Muespfründner, wie sie später genannt wurden, sehr einseitig. Für das 18. Jahr-hundert ist nachgewiesen, dass die Ernährung der Muespfründner zu einer Unterversorgung an Proteinen, Vitaminen, Mineralstoffen und Fetten bzw. zu Mangelkrankheiten und zu grösserer Anfällig-keit gegenüber Seuchen führen konnte.

Erklärungen
ymis: Imbiss, Mahlzeit
schubling: Wurst, meist aus Rind- und Schweinefleisch, geräuchert
haller: Währung
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