Die Städte und Länder von Zürich, Luzern, Uri, Schwyz, Unterwalden, Zug, Glarus und Appenzell werden ewige Eidgenossen
Druck AU 1, Nr. 843.
Die Urkunde von 1452 zeigt die grosse Bedeutung, welche die Appenzeller ihrer neuen Stellung als «ewige Eidgenossen» beimassen. Sie ist mit 73,5 x 44 cm sehr gross und prunkvoll ausgeführt: Die langgestreckte Initiale -I- ist mit Blumen geschmückt; Vögel, ein Affe und ein Maskengesicht tummeln sich um die fünf ersten, in Zierbuchstaben ausgeführten Wörter des Texts. Die Appenzeller bezahlten selber Pergament, Tinte, Siegelschnüre, den Schreiberlohn und vor allem die aufwendige Ausgestaltung; dass sie diese Investition nicht scheuten, ist ebenfalls Zeichen für die Bedeutung, die sie ihrem neuen Status als «ewige Eidgenossen» beimassen.
Schrift und Ausführung weisen eindeutig auf die Luzerner Kanzlei als Ausstellerin der Urkunde hin. Möglicherweise hat sie Hans Fründ geschrieben, der berühmte Chronist des Alten Zürichkriegs und Schreiber in Luzern bis 1452.
Hinweise zur Transkription
Transkribieren Sie u/v nach dem Lautwert (also z.B. «und» für «vnd» oder «geverde» für «geuerde»). Passen Sie i und j dem heutigen Gebrauch an (z.B. «inen» statt «jnen»). Beachten Sie, dass Distinktionszeichen über dem u, welche der Unterscheidung vom Buchstaben n dienen, weggelassen werden. Zeichen über dem u, die nach heutigem Lautwert ein ü meinen, werden hingegen als solche ergänzt. Wortteile, die optisch getrennt erscheinen, aber sinngemäss zusammengehören, werden als ein Wort transkribiert (z.B. «damit» statt «da mit» oder «ingemein» statt «in gemein»). Fügen Sie über der Zeile stehende Vokale hinter dem darunter stehenden Vokal ein.
und uns, die obgenanten von Appenzelle, mit allem flis und ernst gebetten hand, inen
das obgenante burgrecht und lantrecht hin und ab ze tuende und inen das ze bessern und ze meren, also als sy unser ewigen burger und
lantlüt werint, das wir sy und all ir nachkomen an desselben ewigen burgrechtz und lantrechtz statt zuo unsern ewigen eidgenossen nemen
und enpfachen woeltind. Das wir da von ir ernstlicher bett wegen, so sy darumb an uns geleit habent, gemeinlich und einhellen-
klich inen das obgenante burgrecht und lantrecht hin und ab getan und inen das gebessert und gemeret, als wir des nach des obgenanten
artikels in den burgrechtz und lantrechtz brieffen begriffen lut und sag zuo tuende wol gewalt und macht gehept hand, also als sy unser
ewigen burger und lantlüt gewesen sind. Da haben wir sy und alle ir nachkomen an desselben ewigen burgrechtz und lantrechtz statt durch
guoten frid und beschirmung willen unser aller und aller unser nachkomen liben und guotes, ouch durch nutz und fromung willen
gemeinlich des landz zuo unsern ewigen eidgenossen genomen und enpfangen mit soelichen worten und rechtem geding, als hie nach an
disem brieff geschriben statt.
Nur die Eidgenossen konnten das Burg- und Landrecht von 1411 aufheben, und so steht ihr Entscheid denn auch am Anfang des neuen Vertrags. Die Urkunde gibt dem Bündnis, das hier geschlossen wird, keinen Namen; es wird weder als «Bund» noch als «Freundschaft» noch mit einer anderen der einschlägigen Bezeichnungen betitelt. Die Appenzeller und ihre Nachkommen wurden damit «ewige Eidgenossen». Aber «ewig» bedeutet in der mittelalterlichen Sprache nichts anderes als «unbefristet» oder «bis auf Widerruf». Und auch was ihren Status innerhalb der Eidgenossenschaft angeht, hatten sie noch keine Gleichstellung erreicht: Alle Appenzeller über 16 Jahre und ihre Nachkommen mussten nämlich weiterhin Gehorsam schwören und diesen Eid alle 10 Jahre erneuern, ihre Bündnispartner aber mussten keinen Gegeneid leisten. Auch als Eidgenossen blieben die Appenzeller abhängig von ihren Partnern. Diese wiederum - und davon zeugt die Urkunde ebenfalls -, betonten nach dem alten Zürichkrieg in besonders intensiver Weise ihre Zusammengehörigkeit: Sie nahmen die Appenzeller «durch nutz und fromung willen gemeinlich des lands» als Eidgenossen an. Damit hatten sie den Schritt zur gemeinsamen Verantwortung für ihre Gebiete getan.
Erklärungen
die obgenanten: die oben Erwähnten
mit allem flis und ernst: eindringlich und ernsthaft
burgrecht: Vertrag, mit dem ein Partner unter eigens vereinbarten Bedingungen Rechte der Stadt erhält
lantrecht: Vertrag, mit dem ein Partner unter eigens vereinbarten Bedingungen Rechte des Landes erhält
lantlüt: Landleute, Bewohner des Landes Appenzell, Einwohner, Einheimische
ewigen: ohne festgelegte zeitliche Einschränkung
bett: Bitte
brieffen: Urkunden
lut und sag: Wortlaut und Aussage
frid und beschirmung: Friede und Schutz
unser nachkomen liben (zum Schutz) des Körpers und Gutes unserer
und guots: Nachkommen
nutz und fromung: Nutzen und Vorteil
geding: Bedingungen, welche die Partner im Burg- und Landrechtsvertrag erfüllen müssen
Wir, die obgenanten stett und lender, habent uns selbs hierinn gentzlich vorbehalten
und usgelassen die pund, so wir vor datum dis brieffs gegeneinandern gemacht und getan hand. So haben wir, die obgenanten von Appenzelle,
uns mit wissen und willen der obgenanten unser eidgenossen vorbehalten und usgelassen den durchlüchtigen unsern gnedigosten herren Roemisch
keyser oder küng, welhe je zuo zitten sind, und das heilig Roemisch rich, doch mit den rechten gedingoten fürworten, das wir darumb und
damit wider die egenanten unser eidgenossen von stetten und lendern und ir nachkomen noch die iren ingemein noch insunders darinne nit
sin noch wider sy nit tuon soellend in kein wise an alle geverde.
Als «ewige Eidgenossen» standen die Appenzeller in der Hierarchie der Verbündeten hinten an. Sämtliche Bündnisse, welche die Eidgenossen vor Ausstellung des neuen Vertrags eingegangen waren, galten zuerst. Die Appenzeller hatten dem immerhin ihre Beziehung zum Reich entgegenzuhalten: Sie stellten das neue Verhältnis mit den Städten und Ländern im Westen hinter dasjenige zu deutschem König und Reich. Mit diesem «Vorbehalt» hielten sie vertraglich fest, dass sie reichsunmittelbar waren: niemand anderem als dem König oder Kaiser verpflichtet - und ihre neuen eidgenössischen Partner stimmten dieser stolzen Selbstdarstellung der Appenzeller spätestens mit der Anbringung ihrer Siegel auf der Urkunde zu!
Der symbolische Wert des neuen Vertrags, der sich in der Bezeichnung «ewige Eidgenossen», dem Reichsvorbehalt und nicht zuletzt der prunkvollen Urkunde ausdrückt, ist sehr hoch einzuschätzen und sollte wohl zumindest teilweise die weiterhin bestehende Schlechterstellung im Vergleich mit anderen Mitgliedern der Eidgenossenschaft aufwiegen. Immerhin hatten die Appenzeller erreicht, dass sie ihre Verbündeten zur Kriegshilfe auffordern konnten. Und in innereidgenössischen Streitigkeiten mussten sie sich nicht mehr ruhig verhalten, sondern durften als Schiedsrichter auftreten. 60 Jahre später konnten die Appenzeller auf diesen Errungenschaften weiter aufbauen (vgl. Übung 8).
Erklärungen
obgenanten: die oben genannten
vorbehalten und usgelassen: nicht in den Vertrag eingeschlossen
pund: Bündnisse
gegeneinandern: miteinander
küng: König
welhe: welche
rechten gedingoten fürworten: besondere Bestimmungen eines Vertrags, Vorbehalt
egenanten: die vorhin genannten
ingemein noch insunders: insgesamt oder einzeln
an alle geverde: ohne jegliche Gefahr